“Der Stein zeigt sich, er wartet darauf etwas zu werden.”
Ernst von Wyl

Ernst von Wyl in seinem Atelier


Maria Becker: Im Stein liegt das Werden

Auszug aus dem Ausstellungskatalog 2010

Ernst von Wyl’s Frauenskulpturen ruhen auch in den bewegtesten Posen. Tatsächlich eignet nahezu allen weiblichen Kleinskulpturen des Künstlers etwas vollkommen Statisches an. Sie ruhen auf ihren Sockeln, und sie ruhen in sich selbst. Meist mit kleinen Köpfen ausgestattet, wirken ihre Körper massiv und schwer gleich sanft gerundeten Hügelformen, die sich zur Erde hin verbreitern. Auch Haare und Gewand verschmelzen oft mit der Figur zu einem kompakten Ganzen, dessen Basis nach unten auseinandergeht. Ebenso die Gruppen: Ob Liebespaar in inniger Umarmung oder als Block Lehrer Frauenfiguren - immer sind die Volumina geschlossen und bilden eine Einheit. Sucht man nach Vorbildern und Einflüssen in Ernst von Wyls Werk, so ist vieles sichtbar, ohne dass ein konkreter Verweis greifbar wäre. Picassos “Badende” der klassischen Zeit spielen mit, ebenso wie Skulpturen bestimmter Hochkulturen oder prähistorische Figuren. Brancusis entschiedene Formreduktion zählt dazu und ist in ihrer weiblich konotierten Thematik auch unmittelbar verwandt. “Der Beginn der Welt” (Brancusi, 1969) heisst eine eiförmige Skulptur von ihm: Deutlicher kann der Formverweis auf den Ursprung nicht sein. Germanische Fruchtbarkeitsidole klingen in einer Figur aus Glimmerschiefer (von Wyl, 2003) an, in deren walzenförmigen Gestalt die Arme und Gewandfalten als einfache Ritzungen eingekerbt sind. Moores zu Landschaftsformen abstrahierte “Liegende” gehört zur bioamorphen Skulptur der späten Moderne (Moore, 1996), in der auch Ernst von Wyl Formenwelt einzuordnen ist. Aber es gibt noch eine Nähe, die sich nicht unmittelbar aus der Ähnlichkeit der Formensprache erschliesst und die doch einleuchtet. Es ist das Motiv der Erdung. Betrachtet man Skulpturen aus der altägyptischen Epoche, ist fast immer ein direkter Bezug zum Boden deutlich (vgl. Hermann, 1952). Sie stehen auf grossen Füssen, und oft bilden Beine, Füsse, Sitzmöbel und Gewand eine würfelartige, stabile Einheit. Sie sind “geerdet”. In einem Land, in dem die Fruchtbarkeit des Bodens kultisch gefeiert wurde, war die Verbundenheit mit der Erde Ausdruck des Göttlichen. Auch viele der kleinen Frauenskulpturen von Ernst von Wyl zeigen durch ihre Gestalt, ihre Lagerung, ihr ruhendes Stehen, dass sie mit dem Boden verbunden sind. Es sind Fruchtbarkeitsidole, die das weiblich bestimmte Universum des Künstlers bevölkern.

Becker, M. 2010. Rezeption und Anwandlungen, In: Ernst von Wyl, 1. Auflage, S. 12/13
ISBN 978-3-033-02701-5

Steinseele – Einblicke in das Werk von Ernst von Wyl

Produktion:
Drehbuch und Regie: Hans Eggermann, Luzern
Interviewer: Urs Sibler, Stans
Kamera und Schnitt: Bruno Merlo, Luzern
Ton-Mix: Ueli Thalmann, Luzern
Musik: John Wolf Brennan, Arkady Shilkloper, Tscho Theissing (Wake Up Call)Wir danken

Mitwirkende:
Mauro Barzaghi, Cava-Cristallina, Peccia
Irma Bucher, Steinbildhauerin, Luzern
Annette Clodt, Galeristin, Mosnang
Hans Hofer, ehem. Regierungsrat, Sarnen
Ursula Kappeler, Steinbildhauerin, Bern
Hugo Pedrabissi, Kunstsammler, Hergiswil
Jörg Schmid, Pfarrer, Interlaken
Denise von Wyl-Bongard, Hergiswil
Philippe von Wyl, Hergiswil

Mit Danke an Rita Blättler für Ihre grosszügige Unterstützung
© 2000, Hans Eggermann

Einige Referenzen